Ich und die anderen by Matt Ruff

Ich und die anderen by Matt Ruff

Autor:Matt Ruff [Ruff, Matt]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-07-21T16:00:00+00:00


Sechstes Buch Mouse

16

Mouse’ erste Sitzung bei Dr. Eddington ist für 19.30 Uhr angesetzt, was ziemlich spät ist, aber früher konnte er nicht. Als Mouse anrief, um sich einen Termin geben zu lassen, meldete sich Dr. Eddington zu ihrer Überraschung selbst am Telefon; er erklärte, seine Sekretärin heirate in zwei Tagen, und ihre Vertretung sei einfach nicht gekommen, »also behelfe ich mich vorläufig, so gut es eben geht. Wie war noch mal Ihr Name?« Mouse sagte es ihm, und er erwiderte munter: »Ach so, Penny! Danielle - Dr. Grey - sagte mir schon, Sie würden sich möglicherweise melden. Und es geht um die Behandlung einer multiplen Persönlichkeitsstörung, richtig?«

Mouse staunte über die Unbefangenheit, mit der er die Frage stellte; in einem Ton, der auch zu der Frage gepaßt hätte, ob sie eine professionelle Zahnreinigung oder einen Ölwechsel brauchte. »J-ja«, antwortete sie.

»Okay, ausgezeichnet«, sagte er; Mouse hörte im Hintergrund Papiergeraschel. »Also gut, würde Ihnen für unsere erste Sitzung Mittwoch in einer Woche passen?«

»In einer Woche.!« rief Mouse aus.

»Tut mir leid, aber früher geht’s nicht«, entschuldigte sich Dr. Eddington. »Morgen bin ich völlig ausgebucht, am Mittwoch heiratet meine Sekretärin, und am Donnerstag fliege ich zu einem Wochenendseminar nach San Francisco. Bis nächste Woche kann ich also wirklich nichts machen. Es sei denn.«

»Es sei denn?«

»Tja, ich überlege gerade. Meine letzte reguläre Sitzung endet morgen um fünf, und dann habe ich um 17.45 Uhr Karatetraining. Ich könnte anschließend rasch einen Happen essen und dann wieder in die Praxis kommen, sagen wir gegen halb acht. Wäre das für Sie machbar?. Penny?. Sind Sie noch da?«

»Ja«, zwang sich Mouse zu antworten. Ihre Enttäuschung darüber, so lange warten zu müssen, war blitzschnell durch ein heftiges Widerstreben verdrängt worden, durch eine letzte Hoffnung, sie könnte die ganze Sache mit der Therapie vergessen und ihr früheres Leben wiederaufnehmen - ein fraglos elendes, aber zumindest vertrautes Leben. Aber das stand jetzt nicht zur Diskussion. »Ja, okay. Morgen um halb acht, ich werde da sein.«

»Schön«, sagte Dr. Eddington, »dann erkläre ich Ihnen jetzt, wie Sie hierherfinden.«

Dr. Eddingtons Praxis ist in Fremont, der Hippie- und Künstlerenklave am Nordufer des Lake Washington Shipping Canal. Obwohl im strengen Sinne des Wortes kein Slum, ist Fremont doch die Sorte Viertel, über die Mouse’ Mutter die Nase gerümpft hätte; es ist außerdem das Viertel, in dem Mouse im Laufe des letzten Jahres zweimal nach einer verpaßten Nacht in fremden Betten aufgewacht ist. Sie wird auf dem Weg zu und von Dr. Eddingtons Praxis darauf achten müssen, niemandem, der sie »kennt«, in die Arme zu laufen.

Mouse hat nichts dagegen, den Arzt so spät am Abend aufzusuchen; das einzig Unangenehme dabei ist, daß sie die Zeit zwischen dem Ende ihres Arbeitstags und dem Anfang der Sitzung irgendwie totschlagen muß. Seit der Hypnosesitzung bei Dr. Grey ist die Society zunehmend dreister geworden. Die »Gesellschafter« begnügen sich nicht mehr damit, schriftliche Memoranden zu hinterlassen oder ihr Nachrichten auf den Anrufbeantworter zu sprechen; Mouse hört neuerdings auch Stimmen. Manchmal ist es nur ein Gewisper, wie fortlaufende gedachte Kommentare zu Tagträumen, die jedoch nicht ihre eigenen sind.



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